Sonntag, 25. Oktober 2015

Arbeitstitel: Lieben lassen

Liebe Leser,

ich wage mich jetzt einmal etwas vor, und poste eine kleine Fingerübung von letzter Woche.
Dieser Text kam mir auf der Arbeit in den Sinn und ließ mich nicht los, bis ich ihn niederschrieb.
Ich freue mich über konstruktive Kritik und Kommentare, was ihr denkt, und wie ihr ihn empfunden habt.
Er wurde übrigens noch nicht redigiert, was eure Kommentare noch spannender für mich macht!

Wer eine Idee für einen vernünftigen Titel hat (ggf. soll die Story noch weiter gehen), darf ihn gerne nennen!

Ich freue mich auf euch!

Liebe Grüße
Eure Drachenherz

Arbeitstiel: Lieben lassen

Es ist einer dieser namenlosen Nachmittage mitten in der Woche und auf den Straßen brummt geschäftiges Treiben. Wenn die Autos an mir vorbei fahren, schwappt regelmäßig ein Schwall dreckiges Regenwasser auf den Bürgersteig. Dazu  liegt ein feiner Vorhang aus Nieselregen über der Stadt, der sich nur langsam vor mir teilt. Wasser von oben, Wasser von unten.
Ich ziehe meinen Kopf zwischen die Schultern, vergrabe die Nase in einem Schal, den ich wie einen schützenden Kokon um Hals und Schultern geschlungen habe, und versuche, meine klammen Hände noch ein Stück tiefer in meine Manteltaschen zu schieben. Es ist nicht mehr weit bis zu dieser kleinen, schnuckeligen Altbauwohnung, die meine Freundin ihr Eigen nennt und in der ich zu einem hoffentlich heißen Tässchen Tee eingeladen bin. Die Geschichten, die ich im Gegenzug in Petto habe, sind  definitiv heiß.
Mein Weg führt an einigen Schaufenster vorbei, und ich tue etwas, das ich in der Regel unterlasse – ich werfe ein Blick hinein und betrachte mich in der verzerrten Spiegelung. Nur eine Sekunde – ich checke mein Aussehen.
Mein Schal aus Kaschmirwolle hat tatsächlich etwas von einem Kokon, er schimmert sogar jetzt noch ganz zart. Mein Haar, das heute Morgen ohnehin nur kurz die Bürste gesehen hat, erliegt vollkommen der nasskalten Witterung und umgibt mich eher wie ein wirres, dunkles Spinnennetz, als dass man es als Frisur bezeichnen könnte. Passend dazu  hat sich meine Nasenspitze leicht rötlich verfärbt, ebenso meine Wangen. Meine Augen schauen ein wenig müde ohne Mascara mit extra Volumekick, ohne Lidschatten und Highlighter, ohne per Stift definierte Augenbrauen.
Alles in allem bin ich zufrieden mit mir. In meinem Fall ist die beste Maskerade, genau keine Maske zu tragen.
Ich komme an der Haustür an und klingele, warte, während sie zur Gegensprechanlage hechtet, und mustere derweil die Risse im weißen Lack der Tür.
„Ja?“, höre ich ihre Stimme schrecklich verzerrt durch den Lautsprecher.
„Ich bins, mach auf“, brumme ich zurück, ein wenig zu barsch. Dann höre ich auch schon das wiollkommene Summen, dass mich in den dunklen Flur lässt mit dem Mosaik auf dem Boden, der halbhoch gefliesten Wand und der alten, schiefen Treppe mit den ausgetretenen Stufen. Dieser Teil meines Weges fühlt sich immer wieder an wie der Weg zu Beichte, mein Gang der Buße. Mein Triumphzug.
Oben erwartet sie mich schon, lässt mich ein in ihr Reich. Sie lächelt keck, sieht adrett und grunchy zugleich aus in ihren grauen Yogapants und einem dunkelblauen Collegeshirt. Ihre blonden langen Haare sind locker in ein billiges Haargummi verschlungen. Wie oft soll ich ihr noch sagen, dass diese Dinger ihre Haare kaputt machen? Vom Scheitel zu den Zehen ist sie everybodies darling.
„Hey Sue, gut siehst du aus!“, grüßt sich mich und schlingt sofort die Arme um mich, als ich meinen Mantel weggehängt habe. Ich will ihr einen entsprechenden Blick zuwerfen, aber so fest, wie sie mich drückt, schaffe ich es einfach nicht. Stattdessen erwidere ich die Umarmung genauso heftig. Ich bin angekommen.
Wir gehen ins Wohnzimmer, wo auf einem niedrigen Tisch ein kleines japanisch anmutendes Tee-Service steht. Davor liegen jede Menge überdimensionierter Kissen, eine ganze Landschaft davon in Tönen von schlamm, grau und türkis. Wir lassen uns darauf nieder und sie beginnt mit mir einen investigativen Smalltalk, Ganz die Journalistin.
Wie geht es dir, ja gut, danke und dir, auch, danke, weißt du schon…., ich habe gehört, dass…., was macht denn….
Wir reden uns warm, es ist fast wie ein Katz- und- Maus- Spiel, und in diesem Fall bin ich die Maus, die sich einlullen lässt. Aber weshalb wir uns hier treffen ruft sie mir schließlich ins Gedächtnis.
„Nun erzähl schon! Wie war er? Wie hast du ihn gekriegt?“ Sie ist ein bisschen zu laut, zu scharf artikuliert um nicht eine Frage zu sein, die ihr schon lange auf der Zunge brennt. Dabei schaut sie mit ihren großen blauen Augen so verdammt unschuldig über den Rand ihrer Tasse hinweg, der Dampf kräuselt sich zwischen ihren leicht geschwungenen Augenbrauen hinauf und verleiht ihr noch mehr etwas Ätherisches. Ich muss lachen, denn ich sehe ihr die Ungeduld schon die ganze Zeit an, wie sie hin und her rutscht auf ihren Kissen, immer wieder die Teekanne anders positioniert, sich während meiner Antworten auf die Lippe beißt, während sie sich fragt, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, der Gespräch auf den wahren Kern zu lenken. Sie weiß, ich würde ihr alles auch ohne den Smalltalk erzählen. Aber das ist unser Vorspiel. So beginnt es immer.
„Weißt du“, sage ich, als ich wieder zu Luft komme. „Manchmal glaube ich, du bist noch versauter als ich!“
Das hat gesessen, denn plötzlich werden ihre Wangen tiefrot und sie hält den Atem an. Ihr Blick huscht für einen Moment zur Seite.

Also fange ich an.

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